Partizipation 2.0

Partizipation 2.0 (c) iStockphoto
Partizipation 2.0 (c) iStockphoto

Unsere Kommunikation befindet sich in einem immer schnelleren Wandel. Vor allem das Internet bestimmt zunehmend, wie wir die Welt sehen. Aktuelle Trends dabei sind die steigende mobile Nutzung des Internets über Mobiltelefone und Smartphones sowie die zunehmende Verbreitung von sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder studiVZ, vor allem in der jungen Altersgruppe ab 10 Jahren.

Welche Auswirkungen hat dieser Wandel auf unsere Gesellschaften? Während die einen bereits mit Blick auf Ägypten oder den Iran von Facebook- bzw. Twitter-Revolutionen sprechen, sehen andere im Web 2.0 lediglich einen Bazar der Banalitäten – und noch dazu ein Risiko für persönliche Daten.

Doch die technischen Neuerungen verändern nicht nur die Kommunikationswege, sondern auch die Art und Weise, wie wir kommunizieren. Während die klassische „one-to-many“ Massen-Kommunikation überwiegend mono-direktional, also nicht rückkanalfähig war, bietet das Web 2.0 Interaktivität und Anschlussfähigkeit und eröffnet neue Partizipationsmöglichkeiten.

Social Media verändern nicht nur den persönlichen Austausch, sondern auch die Kommunikation von Institutionen, Unternehmen, Marken, Verbänden und Parteien. Was früher ein E-Mail-Newsletter war, sind heute zunehmend die sozialen Netzwerke. So sind beispielsweise alle großen Parteien und viele Politiker, aber auch Vereine, Jugendverbände oder gemeinnützige Institutionen bei Facebook vertreten und werden tausendfach „gemocht“. Spitzenreiter ist hierbei US-Präsident Obama, dessen Facebook-Meldungen von über 18 Millionen Nutzern verfolgt werden – und der damit irgendwo zwischen Lady Gaga und Justin Bieber reüssiert.

Ob auch jenseits dieser eher trivialen Fakten das Web 2.0 Auswirkungen auf demokratische Prozesse und gesellschaftliche Teilhabe – vor allem für die jüngere Generation – hat, soll im Folgenden betrachtet werden.

 

Digital Natives und Social Networks

Für die junge Generation der Digital Natives ist on-line der Normalzustand und das Internet weit mehr als lediglich ein Netzwerk zum Abrufen von Informationen oder Versenden von E-Mails – eine Nutzungsform, die mittlerweile im Übrigen vor allem von den „älteren“ Nutzern jenseits der 35 in Anspruch genommen wird. Für Kinder und Jugendliche ist das Internet heute Spielplatz, Tagebuch, Fotoalbum, ein Ort um Freunde zu treffen, zu flirten oder zu chatten – kurz ein elementarer Bestandteil des alltäglichen Lebens bis hinein in die privatesten Bereiche.

Ein grundlegendes Merkmal des Web 2.0 im Unterschied zu klassischen Medien ist die Produktion von Inhalten durch die Internetnutzer, so genannter User Generated Content. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia beinhaltet beispielsweise 13 Millionen Artikel in mehr als 240 Sprachen, die durch die Nutzer selbst erstellt wurden. Zurzeit sind mehr als 1,2 Millionen Artikel allein auf Deutsch verfügbar. Auch andere Angebote des so genannten Web 2.0 lassen die ursprünglichen Grenzen zwischen Sender und Empfänger verschwinden. Der Umfang des von Nutzern auf das Videoportal Youtube hochgeladenen Videomaterials beträgt 24 Stunden – pro Minute. Dazu werden jeden Tag zwei Milliarden Videos abgespielt. In einer beliebigen Stunde wurden 2010 zudem weltweit mehr als 15 Milliarden Twitter-Nachrichten verschickt. Keines dieser Internetangebote existierte im Jahr 2000.

2010 nutzten bereits drei Viertel aller Personen ab zehn Jahren, bei den 16- bis 24-Jährigen sogar 98 Prozent. Bei den Kindern zwischen sechs und 13 Jahren nutzen 57 Prozent das Internet zumindest selten. Und ein Viertel der Sechs- bis 13-Jährigen will laut KIM-Studie nicht mehr auf Computer und Internet verzichten. Und die Affinität zu PC und Onlinediensten nimmt mit dem Alter deutlich zu: Während nur sechs Prozent der jüngsten Kinder (sechs und sieben Jahre) den PC und das Internet als unentbehrlich ansehen, sind es bei den Zwölf- bis 13-Jährigen bereits 41 Prozent. Dabei löst der Computer zunehmend das Fernsehen als wichtigstes Medium ab: Während drei Viertel der Sechs- bis Siebenjährigen nicht auf das Fernsehen verzichten wollen, sind es bei Kindern zwischen zwölf und 13 Jahren nur noch 40 Prozent.

Die Plattform Facebook hat heute weltweit 500 Millionen aktive Nutzer, von denen 200 Millionen sich über mobile Endgeräte, beispielsweise Mobiltelefone oder Tablet PCs wie Apples iPad, einloggen. In Deutschland nutzen jeden Tag mehr als 16 Millionen Menschen Facebook. Der durchschnittliche Facebook-Nutzer ist dabei mit 130 weiteren Personen verknüpft und folgt 80 Gemeinschaftsseiten, Gruppen und Veranstaltungen. Weltweit werden 700 Milliarden Minuten auf Facebook verbracht.

Die Zahlen zeigen dass Social Media weit mehr als nur ein vorrübergehendes Phänomen ist. Das Social Web ändert die Art, wie wir kommunizieren, miteinander in Kontakt treten und zusammen arbeiten. Zudem hat Facebook sein Angebot nach außen geöffnet und durch die Einführung der Open Graph-Schnittstelle internetweit anschlussfähig gemacht. Facebook ist damit mehr als nur ein Angebot im World Wide Web, es eröffnet vielmehr eine neue Internet-Anwendung wie in der Vergangenheit E-Mail oder das Usenet. Mit dem ersten Auftauchen der „Like“- oder „Mögen-“ Buttons außerhalb von Facebook, durch den Geotagging-Dienst Facebook-Places sowie durch Facebook Mail wurde eine neue Infrastruktur begründet, die weit über bisherige Internetplattformen hinausgeht: Facebook wurde zum Eisenbahnnetz des 21. Jahrhunderts, nur dass es statt Personen und Gütern Bilder, Nachrichten, persönliche Profile, Videos, Ortsangaben und eine Vielzahl von anderen Informationen und Applikationen transportiert.

Soziale Netzwerke gehen damit weit über ein elektronisches Poesie-Album hinaus. Sowohl Unternehmensauftritte als auch zivilgesellschaftliche Kampagnen sind heute ohne Facebook-Page oder YouTube-Channel nicht vorstellbar. Auf klassische Webseiten wird zunehmend verzichtet. Dies hat Auswirkungen auf die institutionelle Kommunikation und eröffnet neue Formen der Partizipation, die im Folgenden beispielhaft erläutert werden sollen.

 

Teilen statt Herrschen

Institutionelle Kommunikation im Web 2.0 folgt anderen Regeln als offline oder auch noch im Web 1.0. Institutionen können in den direkten Dialog mit Nutzern eintreten, müssen jedoch auch Kommentare, Fragen oder Bewertungen ernst nehmen und darauf reagieren, nur dann ist neben dem Wechsel des Kommunikationsweges auch ein Wandel in der Qualität der Kommunikation möglich. Offenheit, Authentizität und Dialogbereitschaft sind die Prinzipien, die Institutionen im Social Web verfolgen sollten. Gleichzeitig geben Institutionen dabei jedoch auch einen Teil der Deutungshoheit über ihre Inhalte auf. Alles, was einmal kommuniziert wurde, wird kommentiert, geteilt, weitergeschickt, verlinkt und bewertet. Kommunikation findet zunehmend auf Augenhöhe statt. Dieses Prinzip des „Teilens statt Herrschens“ stellt jede Institution vor die Aufgabe, die eigene Position immer wieder zu überdenken und zu verargumentieren – ob dies Segen oder Fluch ist, möge jeder für sich entscheiden.

Das bloße Veranstalten von Umfragen oder Kommentarfunktionen, auf die keine Anschlusskommunikation folgt, greifen dabei zu kurz und werden von Web 2.0-Nutzern zunehmend kritisch gesehen. Die Nutzer wollen ernst genommen und an Prozessen beteiligt werden.

Eine Nichtbeachtung sozialer Netzwerke wird sich für viele Institutionen in jedem Fall nicht lange durchhalten lassen – denn viele von ihnen kommen auch ohne eigenes Zutun im Web 2.0 vor. Selbst wer keine eigene Web 2.0-Präsenz hat, sollte sich einmal die Mühe machen, YouTube, Qype und Co. nach nutzergenerierten Inhalten über sich selbst zu durchforsten – und wird möglicherweise überrascht sein. Die Frage ist oftmals nicht, ob man im Web 2.0 vorkommt, sondern ob man dabei sein möchte, wenn über einen geredet wird. Für alle Institutionen, die in einen Diskurs eintreten wollen, wird eine Präsenz in den sozialen Netzwerken somit immer wichtiger.

Die Nutzer schaffen es hier, durch eigene Inhalte – über eine bloße Meinungsäußerung hinaus – Diskurse anzustoßen, die auch Rückkopplungen außerhalb der virtuellen Welt haben und von Unternehmen wie Institutionen zunehmend ernst genommen werden. Die Kampagne von Greenpeace wegen der Urwaldrodung zur Palmölgewinnung durch westliche Konzerne ist hierfür nur ein Beispiel.

 

e-Democracy und Citizen 2.0?

Die Debatte über „e-Democracy“ – also die Nutzung des Internet für die demokratische Willensbildung und Mitbestimmung – ist so alt wie das Internet selbst, ohne jedoch, dass sich daraus wirklich neue Herrschafts- oder Regierungsformen entwickelt haben. Oftmals haben sich entsprechende Diskussionen in der Einrichtung von Online-Kontaktformularen oder – wie in Estland – im eVoting, also der elektronischen Stimmenabgabe über das Internet, erschöpft. Wirkliche Neuerungen in der Art und Weise, wie die demokratische Willensbildung stattfindet, haben sich darüber hinaus hingegen bisher kaum ergeben.

Partizipation im Internet bewegt sich damit irgendwo zwischen dem bloßen Äußern einer Meinung und direkt-demokratischen Elementen. Während bei ersterem die Frage nach der Anschlussmöglichkeit und der Rückwirkung in demokratische Entscheidungsprozesse im Raum steht, stellen sich direkt-demokratische Elemente problematisch dar, solange nicht technische und gesellschaftliche Instrumente geschaffen sind, die eine freie, gleiche, geheime und direkte Beteiligung ermöglichen.

Es ist dabei Aufgabe der Politik, Partizipation im Internet zu ermöglichen und beispielsweise in Online-Konsultationen Anregungen, Meinungen und Empfehlungen im politischen Entscheidungsprozess zu berücksichtigen, ohne dabei der lautesten Stimme oder einer internetaffinen Minderheit zu viel Gewicht einzuräumen. Bis es dazu kommt ist die Ausgestaltung der Partizipation im Internet ein Diskurs, der vor allem auch dort – im Internet – geführt wird. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages als „Beteiligungsexperiment“ ist nur ein Forum, auf dem diese Debatte stattfindet.

Bei aller Diskussion ist jedoch die Frage bis heute nicht beantwortet, wie tiefgreifend die digitale Netzkultur und der „Citizen 2.0“ die Gesellschaft und das politisches System tatsächlich umwälzen wird. Offensichtlich ist jedoch, dass die „digitale Öffentlichkeit“ keinen Gegenentwurf zur „realen Welt“ darstellt, sondern sich vielmehr auf die oben beschriebene zunehmende gegenseitige Durchdringung von Gesellschaft und Internet bezieht. Auch ob das Web 2.0 die Gesamtzahl der an einer politischen Beteiligung interessierten Bürger erhöht, ist jedoch nach wie vor offen. Skeptiker warnen dabei davor, das Web 2.0 für die politische Beteiligung mit Erwartungen zu überfrachten.

Auch ist das Internet nicht per se demokratisch. Aber es verändert unsere Kommunikation und ermöglicht neue Formen der Partizipation und des politischen Diskurses. Beispiele aus aller Welt – man denke an den Iran, Tunesien oder Libyen – zeigen, dass das Internet ein machtvolles Instrument in der demokratischen Teilhabe sein kann, jedoch auch, dass es alleine noch kein Garant für Meinungsfreiheit und die Abwesenheit von Zensur ist.

Auch das Internet als solches ist nicht vor Zensur gefeit, wie beispielsweise staatliche Eingriffe in China oder Saudi-Arabien zeigen. Das Internet, so wie wir es kennen, ist das Produkt einer demokratischen Gesellschaft und funktioniert nur, wenn neben den technischen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen dies zulassen. Der freie Austausch von Meinungen ist einer der Grundpfeiler von demokratischen und zivilen Gesellschaften.

Die oben beschriebenen neuen Formen der Interaktivität und Anschlussfähigkeit, die das Web 2.0 bietet, schlagen bei aller Skepsis dennoch ein neues Kapitel der demokratischen Partizipation auf, auch wenn bestehende Staats- und Verwaltungsstrukturen sicherlich nicht überflüssig werden. Aus demokratie-theoretischer Sicht stellt sich zudem die Frage, ob die mögliche Partizipation im Internet die Demokratie in jedem Fall stärkt. Fraglich ist dies zumindest immer dort, wo das Prinzip der Gleichheit der Stimme nicht gewährleistet wird oder die demokratische Legitimation von Akteuren außerhalb bestehender gewählter Institutionen hinterfragt werden muss.

Dirk Kurbjuweit, der im SPIEGEL mit dem Ausdruck „Wutbürger“ das Wort des Jahres 2010 prägte, spricht von der Gefahr, dass beiseitegeschoben werde, was das Bürgertum immer ausgemacht habe: „Verantwortlichkeit, nicht nur das Eigene und das Jetzt im Blick zu haben, sondern auch das Allgemeine und das Morgen.“ Der „Wutbürger“ vergesse zudem, dass er die Demokratie trage. Es spiele keine Rolle mehr, dass ein Projekt beispielsweise in einem langen Prozess durch alle demokratischen Instanzen gegangen ist: „Der Wutbürger hat das Gefühl, Mehrheit zu sein und die Lage besser beurteilen zu können als die Politik. Er macht sich zur letzten Instanz und hebelt dabei das gesamte System aus.“ Viele der entsprechenden Protestveranstaltungen in Deutschland und weltweit wären in der jüngeren Zeit ohne soziale Netzwerke und das Web 2.0 in diesem Ausmaße nicht möglich gewesen.

Das Web 2.0 bietet jedoch auch eine ganze Reihe von Partizipationsmöglichkeiten, um bestehende Strukturen zu beeinflussen und an sie anzuschließen, auch ohne dass dadurch gleich demokratische Prozesse übergangen werden. Nie war es einfacher, für seinen Zweck die Initiative zu ergreifen, um Mitstreiter zu werben und diese zu finden sowie sich zu organisieren – auch abseits traditioneller Vereine, Verbände und Parteien. Einige dieser Formen, für die das Web 2.0 Voraussetzung ist, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

 

Online Konsultationen

Es gehört zur Good Practice von staatlichen Entscheidungsprozessen, die Öffentlichkeit an diesen zu beteiligen. Sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer und internationaler Ebene haben in Stakeholder-Dialogen auch zivilgesellschaftliche Akteure die Möglichkeit, sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Die gesamte Infrastruktur des Internet baut beispielsweise auf dem Prinzip des „rough consensus, running code“ auf, in dem die Nutzer selbst in sogenannten Requests for Comments technische Mindeststandards definiert haben. Auf Ebene der Vereinten Nationen geschieht dies beispielsweise im Internet Governance Forum (IGF), einem Diskurs über die Ausgestaltung der Zukunft des Internet. Auch wenn vor allem auf europäischer und internationaler Ebene zivilgesellschaftliche Akteure häufig an die Grenzen ihrer personellen und finanziellen Ressourcen stoßen, bieten diese Konsultationen eine konkrete Form der Mitwirkung.

So hat beispielsweise auch die EU-Kommission bereits seit 2002 die Konsultationsplattform „Ihre Stimme in Europa“ im Internet eingerichtet, auf der sich Interessierte über Gesetzesvorhaben informieren und einbringen können.

Für Deutschland hat die Bertelsmann-Stiftung einen Leitfaden für Online-Konsultationen entwickelt, der Teilhabe und Mitmachen als die zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sieht. Der Leitfaden bietet einen Überblick über die Online-Beteiligung in Deutschland sowie aktuelle Entwicklungen und zentrale Anwendungsfelder und betrachtet unter anderem Fragen zum Nutzen von Konsultationen und wie das Internet Beteiligung unterstützen kann.

Der Leitfaden sieht in der Entwicklung digitaler Kommunikationsmedien eine vielversprechende Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger mit vertretbarem Aufwand zu erreichen, ihre Meinungen und Erfahrungen einzuholen und über notwendige Maßnahmen mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Allen voran setzten zunehmend Kommunen das Internet als Medium ein, um ihre Bürger an der Diskussion zu aktuellen Themen wie Flächennutzung, Bauvorhaben, Familienpolitik, Umweltschutz, Lärmbegrenzung, Gestaltung eines Leitbildes oder auch Haushaltsplanung zu beteiligen.

Bei der hohen Internetpenetration in Deutschland ist zwar davon auszugehen, dass die Mehrheit der an einer Beteiligung interessierten Bürgerinnen und Bürgern auch die Möglichkeit hat, sich einzubringen. Dennoch ist jedoch auch die Grenze von Konsultationen klar zu nennen: „Sie können – zumindest bei derzeit erreichbaren Teilnehmerzahlen – keine repräsentativen Studien ersetzen. Konsultationen, Gutachten und empirische Studien stehen daher nicht zueinander in Konkurrenz, sondern ergänzen sich zu einem umfassenden Gesamtbild, auf Grundlage dessen Entscheidungen sicher getroffen werden können“, so der Leitfaden.

So will beispielsweise der „Dialog Internet“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend solcherart online und in Präsenzveranstaltungen sowie zeitgleich in „dezentralen“ Diskussionen in den sozialen Netzwerken schülerVZ und Facebook in einem transparenten und offenen, gemeinsamen Prozess von Experten und Interessierten Vorschläge zu den Chancen und Risiken der technischen Entwicklungen in der Informationsgesellschaft erarbeiten. Über allem steht die Frage: „Wie sieht eine zeitgemäße Kinder- und Jugendpolitik für die digitale Welt aus?“.

In einem Expertenbeitrag beschreibt unter anderem Michael Scholl, Referent für Medien des Deutschen Bundesjugendrings, einige Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit „tatsächlich Teilhabe und Beteiligung drin sind, wenn Partizipation drauf steht“.

Unter anderem müssten Entscheidungen und Ziele transparent sein, Kinder und Jugendliche über ihre demokratischen Strukturen selbst bestimmen und die Ergebnisse nachvollziehen können, zwischen Planung und Umsetzung ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen und nicht zuletzt der Transfer der Ergebnisse in Entscheidungsprozesse von Politik und Verwaltung gelingen.

In insgesamt drei Phasen werden noch bis zum Sommer 2011 im „Dialog Internet“ Vorschläge und Kommentare der registrierten Nutzer gesammelt – inwieweit die Ergebnisse dann in die Arbeit des Ministeriums und der Behörden oder gar den Gesetzgebungsprozess einfließen, also der Transfer gelingt, bleibt abzuwarten.

Zudem kann eine Online-Beteiligung wie oben dargelegt, keine direkt-demokratischen Elemente enthalten, sondern immer nur dem Austausch sowie einer möglichst breiten Mitsprache- und Teilhabemöglichkeit dienen, die dann in bestehende Entscheidungsprozesse einfließen. Nur so ist eine sinnvolle Partizipation, die die Beteiligten ernst nimmt und sinnvolle Anschlussmöglichkeiten bietet. Dies bleibt, bei allen Neuerungen der Informationsgesellschaft, Aufgabe der Politik.

 

Crowdsourcing und Social Entrepreneurs

Gerade das Web 2.0 bietet jedoch eine Reihe weiterer Möglichkeiten, auch außerhalb existierender Strukturen sein Anliegen voran zu treiben. Wikis ermöglichen die Zusammenarbeit jenseits von Institutionen. Mit Facebook Causes und weiteren Online-Portalen stehen zudem jedem – also nicht nur den Organisationen selbst – Instrumente zur Verfügung, für gemeinnützige Projekte online Spenden einzuwerben.

Crowdsourcing und Crowdfunding ermöglichen das reale Sammeln von Arbeitskraft oder Kapital in der virtuellen Welt und somit die konkrete Beteiligung an Projekten, die ohne die Mittel des Web 2.0 nicht oder nur unter erheblichen Aufwand möglich gewesen wäre. Inwieweit solcherlei Projekte in einer gesellschaftlichen Teilhabe münden, hängt vom Einzelfall ab. Auch der „Dialog Internet“ bedient sich in diesem Sinne der Methoden des Crowdsourcing.

Der Begriff Crowdsourcing wurde im Jahr 2006 erstmals im US-Magazin Wired eingeführt, um das Phänomen zu beschreiben, dass nach der massenhaften Verfügbarkeit von Digitalkameras Online Fotodatenbanken im Begriff waren, traditionellen Fotographen das Geschäftsmodell zu rauben. Heute versteht man unter Crowdsourcing die – meist unentgeltliche – Kollaboration verschiedener Nutzer an einem Projekt. Wikipedia ist hierfür sicherlich das beste Beispiel. Beim Crowdfunding hingegen wird versucht, Geld – entweder in der Form von Spenden oder als Risikokapital – auch außerhalb bestehender Banksysteme einzuwerben.

Kampagnen bekommen dank sozialer Netzwerke eine neue Dynamik. Beispielsweise die Proteste gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofes wären ohne die Koordination und Kommunikation über Twitter, Facebook und YouTube nicht möglich gewesen. Auch Greenpeace hat mit Green Action eine „Community für alle, die aktiven Umweltschutz leisten wollen“, errichtet, die damit wirbt: „Auf GreenAction findest du Mitstreiter, mit denen du dich verbünden und vernetzen kannst. So wird aus einer Stimme ein lauter Chor. Mach mit!“

Ein anderes Beispiel ist das „Netz gegen Nazis“, das Web 2.0-Elemente nutzt, um Demokratie, Toleranz und Pluralismus in der Gesellschaft zu fördern, unter anderem durch eine Präsenz auf allen gängigen sozialen Netzwerken oder die Möglichkeit zur Online-Diskussion und –Kollaboration. Auch die Vermittlung von Medienkompetenz für das Web 2.0 gehört zur Agenda des Netzwerkes.

Ein gänzlich anderes Phänomen beschreiben die Begriffe Social Entrepreneurship oder soziales Unternehmertum für kommerzielle Aktivitäten, die neben dem ökonomischen Erhalt auch ein gemeinnütziges oder gesellschaftliches Ziel verfolgen. Anders als gemeinnützige spendenfinanzierte Organisationen sind diese Social Ventures nicht (nur) auf Spenden angewiesen, sondern versuchen, das für das gesellschaftliche Ziel notwendige Kapital selbst zu erwirtschaften und gleichzeitig durch das unternehmerische Handeln selbst dieses Ziel zu erreichen.

Social Ventures gab es auch schon vor dem Web 2.0, dieses ist jedoch auf zwei Arten hilfreich: Zum einen ermöglicht es, online Kapital einzuwerben und sich zu vernetzen, zum anderen macht das Web 2.0 manche Geschäftsmodelle erst möglich. YouTube ermöglicht beispielsweise Sprachkurse als Social Venture mit Lehrenden aus Entwicklungsländern. So bietet die Plattform Glovico, die sich selbst als „online Fairtrade-Sprachschule“ bezeichnet, ein Modell an, von dem Sprachschüler durch Muttersprachler als Lehrer und diese wiederum durch die Schaffung einer Einnahmequelle in ihren Heimatländern profitieren. Das Projekt wurde 2011 durch die Initiative „Deutschland Land der Ideen“ ausgezeichnet.

 

Anonyme Partizipation?

All diesen Partizipations-Formen ist gemein, dass sie ohne das Web 2.0 nicht möglich wären, sich gleichzeitig aber nicht ausschließlich auf die virtuelle Welt beschränken, sondern Rückwirkungen auf die Gesellschaft haben.

Gleichzeitig zeigen Projekte wie GuttenPlag oder WikiLeaks, dass die Partizipation nicht immer zuordenbar und rechenschaftlich ist, sondern auch aus der Anonymität heraus geschehen kann – ohne an dieser Stelle den Zweck und die gewählten Mittel beurteilen zu wollen. Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Impressumspflicht im Telemediengesetz versucht, dieser Form der Anonymität einen Riegel vorzuschieben, was angesichts der globalen Struktur des Internet jedoch nur bedingt möglich ist.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob Partizipation im Web 2.0 immer demokratischen Prinzipien entspricht, oder nicht an sich auch undemokratisch sein kann. Wo es auf die bloße Meinung oder den längeren Atem in der Diskussion ankommt, setzt sich oftmals nicht ein demokratisch entwickelter Kompromiss durch.

Angeregt durch einen erfundenen zusätzlichen Vornamen im Wikipedia-Artikel zum damaligen Wirtschaftsminister von Guttenberg hat sich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder die Initiative Wiki Watch gegründet. Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, solcherlei Fehlentwicklungen bei Wikipedia aufzuzeigen und die Diskussionen bei Wikipedia transparent zu machen. Dazu werden den Nutzern Kriterien zur Beurteilung der Qualität von einzelnen Wikipedia-Artikeln an die Hand gegeben. Die Plattform bedient sich dabei statistischer Daten, die von Wikipedia selbst zur Verfügung gestellt werden. Auch hier generiert sich die kritische Begleitung von Entwicklungen im Web 2.0 aus den Mitteln des Web 2.0 selbst.

 

Medienkompetenz 2.0

Abgesehen von der notwendigen rechtlichen Diskussion muss es jedoch auch einen medienethischen Diskurs um die Ausgestaltung der Partizipation online geben. Hierbei darf auch ein anderer Aspekt der Nutzung von neuen Medien nicht vernachlässigt werden, nämlich die Vermittlung von Medienkompetenz.

Neben der Schule kommt hierbei auch anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendbildung eine zunehmend wichtigere Aufgabe zu, der in weiten Bereichen bereits mit einer Vielzahl von Projekten und Handreichungen begegnet wird. Das Web 2.0 ist hierbei zugleich Teil des Problems und der Lösung. Genau dort, wo beispielsweise Kinder und Jugendliche sich alltäglichen medienethischen Problemen gegenüber gestellt sehen, wird auch versucht, Lösungen aufzuzeigen und Hilfestellungen zu geben. Initiativen wie Juuuport, SCHAU HIN! oder die EU-finanzierte Webseite Klicksafe sind in vielen sozialen Netzwerken vertreten. Auch Veröffentlichungen wie „Scout – das Magazin für Medienkompetenz“ der norddeutschen Landesmedienanstalt sollen informieren, Denkanstöße geben und aufklären.

Dabei kommt es nicht nur auf den Umgang mit neuen Technologien an, sondern auch um den Umgang mit Inhalten und die Ausgestaltung neuer Kommunikationsmöglichkeiten. Wo keine professions- oder institutionsethischen Leitfäden wie beispielsweise der Pressekodex des Deutschen Presserates bestehen, wie etwa bei Bloggern, sind die Nutzer gefragt, eigene Kodizes zu entwickeln. Zum user generated content gesellen sich user generated ethics. In unserer heutigen Mediengesellschaft wird auch Medienkompetenz zunehmend Gesellschaftskompetenz.

 

Autor: Christian Möller, theinformationsociety.org.

Dies ist eine leicht überarbeitete Fassung des Artikels „Politische Beteiligung in der digitalen Gesellschaft“, der zuerst in der Zeitschrift „Jugendpolitik. Fachzeitschrift des Deutschen Bundesjugendrings“ (Ausgabe 1/2011, 37. Jahrgang) erschienen ist.


 

 

Quellen:

  • Statistisches Bundesamt: Mobile Internetnutzung über das Handy 2010 stark gestiegen. Pressemitteilung Nr.060 vom 14.02.2011. <http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2011/02/PD11__060__63931>
  • Marc Prensky: Digital Natives, Digital Immigrants. In: On The Horizon, ISSN 1074-8121, MCB University Press, Vol. 9 No. 5, Oktober 2001. <http://www.marcprensky.com/writing/Prensky%20-%20Digital%20Natives,%20Digital%20Immigrants%20-%20Part1.pdf>
  • Comescore Date Mine (2011) E-mail still Popular Among the Older Generation in Europe. 28. Februar 2011 <http://www.comscoredatamine.com/2011/02/e-mail-still-popular-among-the-older-generation/>
  • Vgl. Wikipedia. (2009, September 20). In Wikipedia, The Free Encyclopedia. <http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia&oldid=315186039>
  • Wiki Watch. <http://www.wiki-watch.de/>
  • YouTube: Fact Sheet. <http://www.youtube.com/t/fact_sheet
  • Twitter: Stats. <http://twitter.com/#!/twit_stats>
  • Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: KIM-Studie 2010 <www.mpfs.de>
  • Facebook: Statistics. <http://www.facebook.com/press/info.php?statistics>
  • Facebook Marketing: Facebook Nutzerdaten Deutschland (Stand 20.03.2011) <http://facebookmarketing.de/userdata/>
  • Greenpeace: Meilenstein: Palmölgigant verspricht Stopp der Urwaldzerstörung. 09.02.2011. <http://www.greenpeace.de/themen/waelder/nachrichten/artikel/meilenstein_palmoelgigant_verspricht_stopp_der_urwaldzerstoerung/>
  • Siehe unter anderem: Steffen Wenzel: Die demokratische Gesellschaft der Zukunft. In: politik-digital.de. 11/1999. <http://politik-digital.de/archiv/hintergrund/zukunft.shtml>
  • Deutscher Bundestag: Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. <http://www.bundestag.de/internetenquete/>
  • Böll Stiftung: Citizen 2.0: Gesellschaftliche Teilhabe im Netz kein Selbstläufer. 03.05.2010. <http://www.boell.de/demokratie/foerderung/demokratiefoerderung-citizen20-digitale-gesellschaft-demokratie-partizipation-9124.html>
  • Möller, Christian/Arnaud Amouroux (Hrsg.) (2004) The Media Freedom Internet Cookbook. Wien: OSZE.
  • Dirk Kurbjuweit (2010) Der Wutbürger. In: Der Spiegel 41/2010.
  • Möller, Christian/Amouroux, Arnaud (2007) Governing the Internet. Freedom and Regulation in the OSCE Region. Vienna: OSCE.
  • Internet Governance Forum (IGF) Homepage. <www.intgovforum.org>
  • Europäische Kommission: Ihre Stimme in Europa. <http://ec.europa.eu/yourvoice/consultations/index_de.htm>
  • Bertelsmann Stiftung Leitfaden Online-Konsultation. Praxisempfehlungen für die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger über das Internet <www.online-konsultation.de/leitfaden>
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dialog Internet <http://www.dialog-internet.de/>
  • Michael Scholl: Bedingungen für Partizipation – auch im Netz. Dialog Internet. 28.02.2011. <http://www.dialog-internet.de/forum/blogPost/showBlogContent/111.page>
  • Jeff Howe: The Rise of Crowdsourcing. In: Wired. Issue 14.06 – June 2006. <http://www.wired.com/wired/archive/14.06/crowds.html>
  • Greenpeace: Green Action. <http://www.greenaction.de/>
  • Netz-gegen-Nazis.de <http://www.netz-gegen-nazis.de/>
  • Deutschland Land der Ideen: Preisträger 2011: Glovico – Die Online-Fairtrade-Sprachschule. <http://www.land-der-ideen.de/de/node/3443>
  • Christian Möller: Wikipedia: On Watch. In: infsocgblog.org. 10.01.2011. <http://www.infsocblog.org/2011/01/wikipedia-on-watch/>
  • Wiki Watch <www.wiki-watch.de>
  • Juuport. <http://www.juuuport.de/>
  • SCHAU HIN! <http://schau-hin.info/>
  • Klicksafe. <https://www.klicksafe.de/>
  • Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein. Scout Magazin. <http://www.ma-hsh.de/aktuelles-publikationen/publikationen/scout-magazin/>

Partizipation 2.0 (c) iStockphoto
Partizipation 2.0 (c) iStockphoto

Unsere Kommunikation befindet sich in einem immer schnelleren Wandel. Vor allem das Internet bestimmt zunehmend, wie wir die Welt sehen. Aktuelle Trends dabei sind die steigende mobile Nutzung des Internets über Mobiltelefone und Smartphones sowie die zunehmende Verbreitung von sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder studiVZ, vor allem in der jungen Altersgruppe ab 10 Jahren.

Welche Auswirkungen hat dieser Wandel auf unsere Gesellschaften? Während die einen bereits mit Blick auf Ägypten oder den Iran von Facebook- bzw. Twitter-Revolutionen sprechen, sehen andere im Web 2.0 lediglich einen Bazar der Banalitäten – und noch dazu ein Risiko für persönliche Daten.

Doch die technischen Neuerungen verändern nicht nur die Kommunikationswege, sondern auch die Art und Weise, wie wir kommunizieren. Während die klassische „one-to-many“ Massen-Kommunikation überwiegend mono-direktional, also nicht rückkanalfähig war, bietet das Web 2.0 Interaktivität und Anschlussfähigkeit und eröffnet neue Partizipationsmöglichkeiten.

Social Media verändern nicht nur den persönlichen Austausch, sondern auch die Kommunikation von Institutionen, Unternehmen, Marken, Verbänden und Parteien. Was früher ein E-Mail-Newsletter war, sind heute zunehmend die sozialen Netzwerke. So sind beispielsweise alle großen Parteien und viele Politiker, aber auch Vereine, Jugendverbände oder gemeinnützige Institutionen bei Facebook vertreten und werden tausendfach „gemocht“. Spitzenreiter ist hierbei US-Präsident Obama, dessen Facebook-Meldungen von über 18 Millionen Nutzern verfolgt werden – und der damit irgendwo zwischen Lady Gaga und Justin Bieber reüssiert.

Ob auch jenseits dieser eher trivialen Fakten das Web 2.0 Auswirkungen auf demokratische Prozesse und gesellschaftliche Teilhabe – vor allem für die jüngere Generation – hat, soll im Folgenden betrachtet werden.

 

Digital Natives und Social Networks

Für die junge Generation der Digital Natives ist on-line der Normalzustand und das Internet weit mehr als lediglich ein Netzwerk zum Abrufen von Informationen oder Versenden von E-Mails – eine Nutzungsform, die mittlerweile im Übrigen vor allem von den „älteren“ Nutzern jenseits der 35 in Anspruch genommen wird. Für Kinder und Jugendliche ist das Internet heute Spielplatz, Tagebuch, Fotoalbum, ein Ort um Freunde zu treffen, zu flirten oder zu chatten – kurz ein elementarer Bestandteil des alltäglichen Lebens bis hinein in die privatesten Bereiche.

Ein grundlegendes Merkmal des Web 2.0 im Unterschied zu klassischen Medien ist die Produktion von Inhalten durch die Internetnutzer, so genannter User Generated Content. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia beinhaltet beispielsweise 13 Millionen Artikel in mehr als 240 Sprachen, die durch die Nutzer selbst erstellt wurden. Zurzeit sind mehr als 1,2 Millionen Artikel allein auf Deutsch verfügbar. Auch andere Angebote des so genannten Web 2.0 lassen die ursprünglichen Grenzen zwischen Sender und Empfänger verschwinden. Der Umfang des von Nutzern auf das Videoportal Youtube hochgeladenen Videomaterials beträgt 24 Stunden – pro Minute. Dazu werden jeden Tag zwei Milliarden Videos abgespielt. In einer beliebigen Stunde wurden 2010 zudem weltweit mehr als 15 Milliarden Twitter-Nachrichten verschickt. Keines dieser Internetangebote existierte im Jahr 2000.

2010 nutzten bereits drei Viertel aller Personen ab zehn Jahren, bei den 16- bis 24-Jährigen sogar 98 Prozent. Bei den Kindern zwischen sechs und 13 Jahren nutzen 57 Prozent das Internet zumindest selten. Und ein Viertel der Sechs- bis 13-Jährigen will laut KIM-Studie nicht mehr auf Computer und Internet verzichten. Und die Affinität zu PC und Onlinediensten nimmt mit dem Alter deutlich zu: Während nur sechs Prozent der jüngsten Kinder (sechs und sieben Jahre) den PC und das Internet als unentbehrlich ansehen, sind es bei den Zwölf- bis 13-Jährigen bereits 41 Prozent. Dabei löst der Computer zunehmend das Fernsehen als wichtigstes Medium ab: Während drei Viertel der Sechs- bis Siebenjährigen nicht auf das Fernsehen verzichten wollen, sind es bei Kindern zwischen zwölf und 13 Jahren nur noch 40 Prozent.

Die Plattform Facebook hat heute weltweit 500 Millionen aktive Nutzer, von denen 200 Millionen sich über mobile Endgeräte, beispielsweise Mobiltelefone oder Tablet PCs wie Apples iPad, einloggen. In Deutschland nutzen jeden Tag mehr als 16 Millionen Menschen Facebook. Der durchschnittliche Facebook-Nutzer ist dabei mit 130 weiteren Personen verknüpft und folgt 80 Gemeinschaftsseiten, Gruppen und Veranstaltungen. Weltweit werden 700 Milliarden Minuten auf Facebook verbracht.

Die Zahlen zeigen dass Social Media weit mehr als nur ein vorrübergehendes Phänomen ist. Das Social Web ändert die Art, wie wir kommunizieren, miteinander in Kontakt treten und zusammen arbeiten. Zudem hat Facebook sein Angebot nach außen geöffnet und durch die Einführung der Open Graph-Schnittstelle internetweit anschlussfähig gemacht. Facebook ist damit mehr als nur ein Angebot im World Wide Web, es eröffnet vielmehr eine neue Internet-Anwendung wie in der Vergangenheit E-Mail oder das Usenet. Mit dem ersten Auftauchen der „Like“- oder „Mögen-“ Buttons außerhalb von Facebook, durch den Geotagging-Dienst Facebook-Places sowie durch Facebook Mail wurde eine neue Infrastruktur begründet, die weit über bisherige Internetplattformen hinausgeht: Facebook wurde zum Eisenbahnnetz des 21. Jahrhunderts, nur dass es statt Personen und Gütern Bilder, Nachrichten, persönliche Profile, Videos, Ortsangaben und eine Vielzahl von anderen Informationen und Applikationen transportiert.

Soziale Netzwerke gehen damit weit über ein elektronisches Poesie-Album hinaus. Sowohl Unternehmensauftritte als auch zivilgesellschaftliche Kampagnen sind heute ohne Facebook-Page oder YouTube-Channel nicht vorstellbar. Auf klassische Webseiten wird zunehmend verzichtet. Dies hat Auswirkungen auf die institutionelle Kommunikation und eröffnet neue Formen der Partizipation, die im Folgenden beispielhaft erläutert werden sollen.

 

Teilen statt Herrschen

Institutionelle Kommunikation im Web 2.0 folgt anderen Regeln als offline oder auch noch im Web 1.0. Institutionen können in den direkten Dialog mit Nutzern eintreten, müssen jedoch auch Kommentare, Fragen oder Bewertungen ernst nehmen und darauf reagieren, nur dann ist neben dem Wechsel des Kommunikationsweges auch ein Wandel in der Qualität der Kommunikation möglich. Offenheit, Authentizität und Dialogbereitschaft sind die Prinzipien, die Institutionen im Social Web verfolgen sollten. Gleichzeitig geben Institutionen dabei jedoch auch einen Teil der Deutungshoheit über ihre Inhalte auf. Alles, was einmal kommuniziert wurde, wird kommentiert, geteilt, weitergeschickt, verlinkt und bewertet. Kommunikation findet zunehmend auf Augenhöhe statt. Dieses Prinzip des „Teilens statt Herrschens“ stellt jede Institution vor die Aufgabe, die eigene Position immer wieder zu überdenken und zu verargumentieren – ob dies Segen oder Fluch ist, möge jeder für sich entscheiden.

Das bloße Veranstalten von Umfragen oder Kommentarfunktionen, auf die keine Anschlusskommunikation folgt, greifen dabei zu kurz und werden von Web 2.0-Nutzern zunehmend kritisch gesehen. Die Nutzer wollen ernst genommen und an Prozessen beteiligt werden.

Eine Nichtbeachtung sozialer Netzwerke wird sich für viele Institutionen in jedem Fall nicht lange durchhalten lassen – denn viele von ihnen kommen auch ohne eigenes Zutun im Web 2.0 vor. Selbst wer keine eigene Web 2.0-Präsenz hat, sollte sich einmal die Mühe machen, YouTube, Qype und Co. nach nutzergenerierten Inhalten über sich selbst zu durchforsten – und wird möglicherweise überrascht sein. Die Frage ist oftmals nicht, ob man im Web 2.0 vorkommt, sondern ob man dabei sein möchte, wenn über einen geredet wird. Für alle Institutionen, die in einen Diskurs eintreten wollen, wird eine Präsenz in den sozialen Netzwerken somit immer wichtiger.

Die Nutzer schaffen es hier, durch eigene Inhalte – über eine bloße Meinungsäußerung hinaus – Diskurse anzustoßen, die auch Rückkopplungen außerhalb der virtuellen Welt haben und von Unternehmen wie Institutionen zunehmend ernst genommen werden. Die Kampagne von Greenpeace wegen der Urwaldrodung zur Palmölgewinnung durch westliche Konzerne ist hierfür nur ein Beispiel.

 

e-Democracy und Citizen 2.0?

Die Debatte über „e-Democracy“ – also die Nutzung des Internet für die demokratische Willensbildung und Mitbestimmung – ist so alt wie das Internet selbst, ohne jedoch, dass sich daraus wirklich neue Herrschafts- oder Regierungsformen entwickelt haben. Oftmals haben sich entsprechende Diskussionen in der Einrichtung von Online-Kontaktformularen oder – wie in Estland – im eVoting, also der elektronischen Stimmenabgabe über das Internet, erschöpft. Wirkliche Neuerungen in der Art und Weise, wie die demokratische Willensbildung stattfindet, haben sich darüber hinaus hingegen bisher kaum ergeben.

Partizipation im Internet bewegt sich damit irgendwo zwischen dem bloßen Äußern einer Meinung und direkt-demokratischen Elementen. Während bei ersterem die Frage nach der Anschlussmöglichkeit und der Rückwirkung in demokratische Entscheidungsprozesse im Raum steht, stellen sich direkt-demokratische Elemente problematisch dar, solange nicht technische und gesellschaftliche Instrumente geschaffen sind, die eine freie, gleiche, geheime und direkte Beteiligung ermöglichen.

Es ist dabei Aufgabe der Politik, Partizipation im Internet zu ermöglichen und beispielsweise in Online-Konsultationen Anregungen, Meinungen und Empfehlungen im politischen Entscheidungsprozess zu berücksichtigen, ohne dabei der lautesten Stimme oder einer internetaffinen Minderheit zu viel Gewicht einzuräumen. Bis es dazu kommt ist die Ausgestaltung der Partizipation im Internet ein Diskurs, der vor allem auch dort – im Internet – geführt wird. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages als „Beteiligungsexperiment“ ist nur ein Forum, auf dem diese Debatte stattfindet.

Bei aller Diskussion ist jedoch die Frage bis heute nicht beantwortet, wie tiefgreifend die digitale Netzkultur und der „Citizen 2.0“ die Gesellschaft und das politisches System tatsächlich umwälzen wird. Offensichtlich ist jedoch, dass die „digitale Öffentlichkeit“ keinen Gegenentwurf zur „realen Welt“ darstellt, sondern sich vielmehr auf die oben beschriebene zunehmende gegenseitige Durchdringung von Gesellschaft und Internet bezieht. Auch ob das Web 2.0 die Gesamtzahl der an einer politischen Beteiligung interessierten Bürger erhöht, ist jedoch nach wie vor offen. Skeptiker warnen dabei davor, das Web 2.0 für die politische Beteiligung mit Erwartungen zu überfrachten.

Auch ist das Internet nicht per se demokratisch. Aber es verändert unsere Kommunikation und ermöglicht neue Formen der Partizipation und des politischen Diskurses. Beispiele aus aller Welt – man denke an den Iran, Tunesien oder Libyen – zeigen, dass das Internet ein machtvolles Instrument in der demokratischen Teilhabe sein kann, jedoch auch, dass es alleine noch kein Garant für Meinungsfreiheit und die Abwesenheit von Zensur ist.

Auch das Internet als solches ist nicht vor Zensur gefeit, wie beispielsweise staatliche Eingriffe in China oder Saudi-Arabien zeigen. Das Internet, so wie wir es kennen, ist das Produkt einer demokratischen Gesellschaft und funktioniert nur, wenn neben den technischen auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen dies zulassen. Der freie Austausch von Meinungen ist einer der Grundpfeiler von demokratischen und zivilen Gesellschaften.

Die oben beschriebenen neuen Formen der Interaktivität und Anschlussfähigkeit, die das Web 2.0 bietet, schlagen bei aller Skepsis dennoch ein neues Kapitel der demokratischen Partizipation auf, auch wenn bestehende Staats- und Verwaltungsstrukturen sicherlich nicht überflüssig werden. Aus demokratie-theoretischer Sicht stellt sich zudem die Frage, ob die mögliche Partizipation im Internet die Demokratie in jedem Fall stärkt. Fraglich ist dies zumindest immer dort, wo das Prinzip der Gleichheit der Stimme nicht gewährleistet wird oder die demokratische Legitimation von Akteuren außerhalb bestehender gewählter Institutionen hinterfragt werden muss.

Dirk Kurbjuweit, der im SPIEGEL mit dem Ausdruck „Wutbürger“ das Wort des Jahres 2010 prägte, spricht von der Gefahr, dass beiseitegeschoben werde, was das Bürgertum immer ausgemacht habe: „Verantwortlichkeit, nicht nur das Eigene und das Jetzt im Blick zu haben, sondern auch das Allgemeine und das Morgen.“ Der „Wutbürger“ vergesse zudem, dass er die Demokratie trage. Es spiele keine Rolle mehr, dass ein Projekt beispielsweise in einem langen Prozess durch alle demokratischen Instanzen gegangen ist: „Der Wutbürger hat das Gefühl, Mehrheit zu sein und die Lage besser beurteilen zu können als die Politik. Er macht sich zur letzten Instanz und hebelt dabei das gesamte System aus.“ Viele der entsprechenden Protestveranstaltungen in Deutschland und weltweit wären in der jüngeren Zeit ohne soziale Netzwerke und das Web 2.0 in diesem Ausmaße nicht möglich gewesen.

Das Web 2.0 bietet jedoch auch eine ganze Reihe von Partizipationsmöglichkeiten, um bestehende Strukturen zu beeinflussen und an sie anzuschließen, auch ohne dass dadurch gleich demokratische Prozesse übergangen werden. Nie war es einfacher, für seinen Zweck die Initiative zu ergreifen, um Mitstreiter zu werben und diese zu finden sowie sich zu organisieren – auch abseits traditioneller Vereine, Verbände und Parteien. Einige dieser Formen, für die das Web 2.0 Voraussetzung ist, sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden.

 

Online Konsultationen

Es gehört zur Good Practice von staatlichen Entscheidungsprozessen, die Öffentlichkeit an diesen zu beteiligen. Sowohl auf nationaler wie auch auf europäischer und internationaler Ebene haben in Stakeholder-Dialogen auch zivilgesellschaftliche Akteure die Möglichkeit, sich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Die gesamte Infrastruktur des Internet baut beispielsweise auf dem Prinzip des „rough consensus, running code“ auf, in dem die Nutzer selbst in sogenannten Requests for Comments technische Mindeststandards definiert haben. Auf Ebene der Vereinten Nationen geschieht dies beispielsweise im Internet Governance Forum (IGF), einem Diskurs über die Ausgestaltung der Zukunft des Internet. Auch wenn vor allem auf europäischer und internationaler Ebene zivilgesellschaftliche Akteure häufig an die Grenzen ihrer personellen und finanziellen Ressourcen stoßen, bieten diese Konsultationen eine konkrete Form der Mitwirkung.

So hat beispielsweise auch die EU-Kommission bereits seit 2002 die Konsultationsplattform „Ihre Stimme in Europa“ im Internet eingerichtet, auf der sich Interessierte über Gesetzesvorhaben informieren und einbringen können.

Für Deutschland hat die Bertelsmann-Stiftung einen Leitfaden für Online-Konsultationen entwickelt, der Teilhabe und Mitmachen als die zentralen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sieht. Der Leitfaden bietet einen Überblick über die Online-Beteiligung in Deutschland sowie aktuelle Entwicklungen und zentrale Anwendungsfelder und betrachtet unter anderem Fragen zum Nutzen von Konsultationen und wie das Internet Beteiligung unterstützen kann.

Der Leitfaden sieht in der Entwicklung digitaler Kommunikationsmedien eine vielversprechende Möglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger mit vertretbarem Aufwand zu erreichen, ihre Meinungen und Erfahrungen einzuholen und über notwendige Maßnahmen mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Allen voran setzten zunehmend Kommunen das Internet als Medium ein, um ihre Bürger an der Diskussion zu aktuellen Themen wie Flächennutzung, Bauvorhaben, Familienpolitik, Umweltschutz, Lärmbegrenzung, Gestaltung eines Leitbildes oder auch Haushaltsplanung zu beteiligen.

Bei der hohen Internetpenetration in Deutschland ist zwar davon auszugehen, dass die Mehrheit der an einer Beteiligung interessierten Bürgerinnen und Bürgern auch die Möglichkeit hat, sich einzubringen. Dennoch ist jedoch auch die Grenze von Konsultationen klar zu nennen: „Sie können – zumindest bei derzeit erreichbaren Teilnehmerzahlen – keine repräsentativen Studien ersetzen. Konsultationen, Gutachten und empirische Studien stehen daher nicht zueinander in Konkurrenz, sondern ergänzen sich zu einem umfassenden Gesamtbild, auf Grundlage dessen Entscheidungen sicher getroffen werden können“, so der Leitfaden.

So will beispielsweise der „Dialog Internet“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend solcherart online und in Präsenzveranstaltungen sowie zeitgleich in „dezentralen“ Diskussionen in den sozialen Netzwerken schülerVZ und Facebook in einem transparenten und offenen, gemeinsamen Prozess von Experten und Interessierten Vorschläge zu den Chancen und Risiken der technischen Entwicklungen in der Informationsgesellschaft erarbeiten. Über allem steht die Frage: „Wie sieht eine zeitgemäße Kinder- und Jugendpolitik für die digitale Welt aus?“.

In einem Expertenbeitrag beschreibt unter anderem Michael Scholl, Referent für Medien des Deutschen Bundesjugendrings, einige Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit „tatsächlich Teilhabe und Beteiligung drin sind, wenn Partizipation drauf steht“.

Unter anderem müssten Entscheidungen und Ziele transparent sein, Kinder und Jugendliche über ihre demokratischen Strukturen selbst bestimmen und die Ergebnisse nachvollziehen können, zwischen Planung und Umsetzung ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen und nicht zuletzt der Transfer der Ergebnisse in Entscheidungsprozesse von Politik und Verwaltung gelingen.

In insgesamt drei Phasen werden noch bis zum Sommer 2011 im „Dialog Internet“ Vorschläge und Kommentare der registrierten Nutzer gesammelt – inwieweit die Ergebnisse dann in die Arbeit des Ministeriums und der Behörden oder gar den Gesetzgebungsprozess einfließen, also der Transfer gelingt, bleibt abzuwarten.

Zudem kann eine Online-Beteiligung wie oben dargelegt, keine direkt-demokratischen Elemente enthalten, sondern immer nur dem Austausch sowie einer möglichst breiten Mitsprache- und Teilhabemöglichkeit dienen, die dann in bestehende Entscheidungsprozesse einfließen. Nur so ist eine sinnvolle Partizipation, die die Beteiligten ernst nimmt und sinnvolle Anschlussmöglichkeiten bietet. Dies bleibt, bei allen Neuerungen der Informationsgesellschaft, Aufgabe der Politik.

 

Crowdsourcing und Social Entrepreneurs

Gerade das Web 2.0 bietet jedoch eine Reihe weiterer Möglichkeiten, auch außerhalb existierender Strukturen sein Anliegen voran zu treiben. Wikis ermöglichen die Zusammenarbeit jenseits von Institutionen. Mit Facebook Causes und weiteren Online-Portalen stehen zudem jedem – also nicht nur den Organisationen selbst – Instrumente zur Verfügung, für gemeinnützige Projekte online Spenden einzuwerben.

Crowdsourcing und Crowdfunding ermöglichen das reale Sammeln von Arbeitskraft oder Kapital in der virtuellen Welt und somit die konkrete Beteiligung an Projekten, die ohne die Mittel des Web 2.0 nicht oder nur unter erheblichen Aufwand möglich gewesen wäre. Inwieweit solcherlei Projekte in einer gesellschaftlichen Teilhabe münden, hängt vom Einzelfall ab. Auch der „Dialog Internet“ bedient sich in diesem Sinne der Methoden des Crowdsourcing.

Der Begriff Crowdsourcing wurde im Jahr 2006 erstmals im US-Magazin Wired eingeführt, um das Phänomen zu beschreiben, dass nach der massenhaften Verfügbarkeit von Digitalkameras Online Fotodatenbanken im Begriff waren, traditionellen Fotographen das Geschäftsmodell zu rauben. Heute versteht man unter Crowdsourcing die – meist unentgeltliche – Kollaboration verschiedener Nutzer an einem Projekt. Wikipedia ist hierfür sicherlich das beste Beispiel. Beim Crowdfunding hingegen wird versucht, Geld – entweder in der Form von Spenden oder als Risikokapital – auch außerhalb bestehender Banksysteme einzuwerben.

Kampagnen bekommen dank sozialer Netzwerke eine neue Dynamik. Beispielsweise die Proteste gegen den Umbau des Stuttgarter Bahnhofes wären ohne die Koordination und Kommunikation über Twitter, Facebook und YouTube nicht möglich gewesen. Auch Greenpeace hat mit Green Action eine „Community für alle, die aktiven Umweltschutz leisten wollen“, errichtet, die damit wirbt: „Auf GreenAction findest du Mitstreiter, mit denen du dich verbünden und vernetzen kannst. So wird aus einer Stimme ein lauter Chor. Mach mit!“

Ein anderes Beispiel ist das „Netz gegen Nazis“, das Web 2.0-Elemente nutzt, um Demokratie, Toleranz und Pluralismus in der Gesellschaft zu fördern, unter anderem durch eine Präsenz auf allen gängigen sozialen Netzwerken oder die Möglichkeit zur Online-Diskussion und –Kollaboration. Auch die Vermittlung von Medienkompetenz für das Web 2.0 gehört zur Agenda des Netzwerkes.

Ein gänzlich anderes Phänomen beschreiben die Begriffe Social Entrepreneurship oder soziales Unternehmertum für kommerzielle Aktivitäten, die neben dem ökonomischen Erhalt auch ein gemeinnütziges oder gesellschaftliches Ziel verfolgen. Anders als gemeinnützige spendenfinanzierte Organisationen sind diese Social Ventures nicht (nur) auf Spenden angewiesen, sondern versuchen, das für das gesellschaftliche Ziel notwendige Kapital selbst zu erwirtschaften und gleichzeitig durch das unternehmerische Handeln selbst dieses Ziel zu erreichen.

Social Ventures gab es auch schon vor dem Web 2.0, dieses ist jedoch auf zwei Arten hilfreich: Zum einen ermöglicht es, online Kapital einzuwerben und sich zu vernetzen, zum anderen macht das Web 2.0 manche Geschäftsmodelle erst möglich. YouTube ermöglicht beispielsweise Sprachkurse als Social Venture mit Lehrenden aus Entwicklungsländern. So bietet die Plattform Glovico, die sich selbst als „online Fairtrade-Sprachschule“ bezeichnet, ein Modell an, von dem Sprachschüler durch Muttersprachler als Lehrer und diese wiederum durch die Schaffung einer Einnahmequelle in ihren Heimatländern profitieren. Das Projekt wurde 2011 durch die Initiative „Deutschland Land der Ideen“ ausgezeichnet.

 

Anonyme Partizipation?

All diesen Partizipations-Formen ist gemein, dass sie ohne das Web 2.0 nicht möglich wären, sich gleichzeitig aber nicht ausschließlich auf die virtuelle Welt beschränken, sondern Rückwirkungen auf die Gesellschaft haben.

Gleichzeitig zeigen Projekte wie GuttenPlag oder WikiLeaks, dass die Partizipation nicht immer zuordenbar und rechenschaftlich ist, sondern auch aus der Anonymität heraus geschehen kann – ohne an dieser Stelle den Zweck und die gewählten Mittel beurteilen zu wollen. Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Impressumspflicht im Telemediengesetz versucht, dieser Form der Anonymität einen Riegel vorzuschieben, was angesichts der globalen Struktur des Internet jedoch nur bedingt möglich ist.

Eine weitere Frage, die sich stellt, ist, ob Partizipation im Web 2.0 immer demokratischen Prinzipien entspricht, oder nicht an sich auch undemokratisch sein kann. Wo es auf die bloße Meinung oder den längeren Atem in der Diskussion ankommt, setzt sich oftmals nicht ein demokratisch entwickelter Kompromiss durch.

Angeregt durch einen erfundenen zusätzlichen Vornamen im Wikipedia-Artikel zum damaligen Wirtschaftsminister von Guttenberg hat sich an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder die Initiative Wiki Watch gegründet. Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, solcherlei Fehlentwicklungen bei Wikipedia aufzuzeigen und die Diskussionen bei Wikipedia transparent zu machen. Dazu werden den Nutzern Kriterien zur Beurteilung der Qualität von einzelnen Wikipedia-Artikeln an die Hand gegeben. Die Plattform bedient sich dabei statistischer Daten, die von Wikipedia selbst zur Verfügung gestellt werden. Auch hier generiert sich die kritische Begleitung von Entwicklungen im Web 2.0 aus den Mitteln des Web 2.0 selbst.

 

Medienkompetenz 2.0

Abgesehen von der notwendigen rechtlichen Diskussion muss es jedoch auch einen medienethischen Diskurs um die Ausgestaltung der Partizipation online geben. Hierbei darf auch ein anderer Aspekt der Nutzung von neuen Medien nicht vernachlässigt werden, nämlich die Vermittlung von Medienkompetenz.

Neben der Schule kommt hierbei auch anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendbildung eine zunehmend wichtigere Aufgabe zu, der in weiten Bereichen bereits mit einer Vielzahl von Projekten und Handreichungen begegnet wird. Das Web 2.0 ist hierbei zugleich Teil des Problems und der Lösung. Genau dort, wo beispielsweise Kinder und Jugendliche sich alltäglichen medienethischen Problemen gegenüber gestellt sehen, wird auch versucht, Lösungen aufzuzeigen und Hilfestellungen zu geben. Initiativen wie Juuuport, SCHAU HIN! oder die EU-finanzierte Webseite Klicksafe sind in vielen sozialen Netzwerken vertreten. Auch Veröffentlichungen wie „Scout – das Magazin für Medienkompetenz“ der norddeutschen Landesmedienanstalt sollen informieren, Denkanstöße geben und aufklären.

Dabei kommt es nicht nur auf den Umgang mit neuen Technologien an, sondern auch um den Umgang mit Inhalten und die Ausgestaltung neuer Kommunikationsmöglichkeiten. Wo keine professions- oder institutionsethischen Leitfäden wie beispielsweise der Pressekodex des Deutschen Presserates bestehen, wie etwa bei Bloggern, sind die Nutzer gefragt, eigene Kodizes zu entwickeln. Zum user generated content gesellen sich user generated ethics. In unserer heutigen Mediengesellschaft wird auch Medienkompetenz zunehmend Gesellschaftskompetenz.

 

Autor: Christian Möller, theinformationsociety.org.

Dies ist eine leicht überarbeitete Fassung des Artikels „Politische Beteiligung in der digitalen Gesellschaft“, der zuerst in der Zeitschrift „Jugendpolitik. Fachzeitschrift des Deutschen Bundesjugendrings“ (Ausgabe 1/2011, 37. Jahrgang) erschienen ist.


 

Quellen:

  • Statistisches Bundesamt: Mobile Internetnutzung über das Handy 2010 stark gestiegen. Pressemitteilung Nr.060 vom 14.02.2011. <http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2011/02/PD11__060__63931>
  • Marc Prensky: Digital Natives, Digital Immigrants. In: On The Horizon, ISSN 1074-8121, MCB University Press, Vol. 9 No. 5, Oktober 2001. <http://www.marcprensky.com/writing/Prensky%20-%20Digital%20Natives,%20Digital%20Immigrants%20-%20Part1.pdf>
  • Comescore Date Mine (2011) E-mail still Popular Among the Older Generation in Europe. 28. Februar 2011 <http://www.comscoredatamine.com/2011/02/e-mail-still-popular-among-the-older-generation/>
  • Vgl. Wikipedia. (2009, September 20). In Wikipedia, The Free Encyclopedia. <http://en.wikipedia.org/w/index.php?title=Wikipedia&oldid=315186039>
  • Wiki Watch. <http://www.wiki-watch.de/>
  • YouTube: Fact Sheet. <http://www.youtube.com/t/fact_sheet
  • Twitter: Stats. <http://twitter.com/#!/twit_stats>
  • Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: KIM-Studie 2010 <www.mpfs.de>
  • Facebook: Statistics. <http://www.facebook.com/press/info.php?statistics>
  • Facebook Marketing: Facebook Nutzerdaten Deutschland (Stand 20.03.2011) <http://facebookmarketing.de/userdata/>
  • Greenpeace: Meilenstein: Palmölgigant verspricht Stopp der Urwaldzerstörung. 09.02.2011. <http://www.greenpeace.de/themen/waelder/nachrichten/artikel/meilenstein_palmoelgigant_verspricht_stopp_der_urwaldzerstoerung/>
  • Siehe unter anderem: Steffen Wenzel: Die demokratische Gesellschaft der Zukunft. In: politik-digital.de. 11/1999. <http://politik-digital.de/archiv/hintergrund/zukunft.shtml>
  • Deutscher Bundestag: Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft. <http://www.bundestag.de/internetenquete/>
  • Böll Stiftung: Citizen 2.0: Gesellschaftliche Teilhabe im Netz kein Selbstläufer. 03.05.2010. <http://www.boell.de/demokratie/foerderung/demokratiefoerderung-citizen20-digitale-gesellschaft-demokratie-partizipation-9124.html>
  • Möller, Christian/Arnaud Amouroux (Hrsg.) (2004) The Media Freedom Internet Cookbook. Wien: OSZE.
  • Dirk Kurbjuweit (2010) Der Wutbürger. In: Der Spiegel 41/2010.
  • Möller, Christian/Amouroux, Arnaud (2007) Governing the Internet. Freedom and Regulation in the OSCE Region. Vienna: OSCE.
  • Internet Governance Forum (IGF) Homepage. <www.intgovforum.org>
  • Europäische Kommission: Ihre Stimme in Europa. <http://ec.europa.eu/yourvoice/consultations/index_de.htm>
  • Bertelsmann Stiftung Leitfaden Online-Konsultation. Praxisempfehlungen für die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger über das Internet <www.online-konsultation.de/leitfaden>
  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dialog Internet <http://www.dialog-internet.de/>
  • Michael Scholl: Bedingungen für Partizipation – auch im Netz. Dialog Internet. 28.02.2011. <http://www.dialog-internet.de/forum/blogPost/showBlogContent/111.page>
  • Jeff Howe: The Rise of Crowdsourcing. In: Wired. Issue 14.06 – June 2006. <http://www.wired.com/wired/archive/14.06/crowds.html>
  • Greenpeace: Green Action. <http://www.greenaction.de/>
  • Netz-gegen-Nazis.de <http://www.netz-gegen-nazis.de/>
  • Deutschland Land der Ideen: Preisträger 2011: Glovico – Die Online-Fairtrade-Sprachschule. <http://www.land-der-ideen.de/de/node/3443>
  • Christian Möller: Wikipedia: On Watch. In: infsocgblog.org. 10.01.2011. <http://www.infsocblog.org/2011/01/wikipedia-on-watch/>
  • Wiki Watch <www.wiki-watch.de>
  • Juuport. <http://www.juuuport.de/>
  • SCHAU HIN! <http://schau-hin.info/>
  • Klicksafe. <https://www.klicksafe.de/>
  • Medienanstalt Hamburg Schleswig-Holstein. Scout Magazin. <http://www.ma-hsh.de/aktuelles-publikationen/publikationen/scout-magazin/>

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